Südfranzösisches Zitronenland
Menton – die kulinarische Perle der Côte d´AzurText und Fotos: Anke Sademann
Früher Hauptexportgut, bauen heute noch gerade einmal
zehn Zitronenbauern die geografisch geschützte Südfrucht traditionell und
streng zertifiziert in Menton an. Die mikroklimatische Region an der Côte
d´Azur bietet beste Voraussetzungen. Unsere Autorin Anke Sademann hat sich auf
kulinarischen Streifzug durch diese paradiesische Bilderbuchecke an der
azurblauen Küste Südfrankreichs nahe der italienischen Grenze begeben und wahre
Food-Schätze ausgegraben.
Oh la la, die Mentonzitrone
In der rue de Partouneaux - im südfranzösischen Menton, bestückt Riccardo Inversi die Glas-Vitrine im "Pasta Piemonte" mit frisch geformten Ravioli. Die fein gezackten Teigtaschen werden von ihm und Mama Luisa im Nudel-Atelier des Bio-Feinkostgeschäfts in Handarbeit ausgestochen. Die Füllungen aus Zutaten wie Tome- und Ricotta-Käse aus Alta Langa, Kalbs-Mortadella, Trüffel und Haselnüsse aus dem Ruero kommen, wie die Familie Inversi selbst, aus dem nahen Piemont. Luisa holt die Schale mit den "Ravioli au Citron de Menton" heraus und legt liebevoll einen Salbeizweig darauf. Von der lokalen Zitrusfrucht rieselt nur etwas Schale und ein paar Tropfen in ihre Ricotta-Füllung. Für die Inversis hat die goldene Frucht etwas höchst Symbolisches. Sie hat - Länderverbindend - Familiengeschichte geschrieben. Eigentlich kommen die Inversis aus Turin – der Hauptstadt des Slow Food. Als Kind war Riccardo mit Luisa oft in Menton im Urlaub gewesen: "Wir träumten davon einmal hier zu leben und stellten erstaunt fest, dass es eigentlich keine wirkliche kulinarische Kultur rund um die ikonische Zitrone gab", so der Pasta-Meister. Der ist mittlerweile ein Neo-Mentonnais und hat die französische Staatsbürgerschaft. Er müsse nur noch eine letzte Sprachprüfung machen. Leider nicht in "Mentonasque" - das Gemisch aus Okzitanisch, Ligurisch und "Vulgärlatein". Das sprachliche Erbe der Römer würde ihm das Lernen sicherlich erleichtern, wird aber nur noch von wenigen Ureinwohnern gesprochen. Mit der Ladeneröffnung vor zehn Jahren führte er eine generationsübergreifende, gastronomische Familientradition weiter - nur eben auf der französischen Seite. Jetzt pendeln sie zwischen der sonnenverwöhnten Mittelmeerstadt und dem sanft hügeligen Hinterland des Piemont. Von dort kommen das besondere Bio-Mehl, die Ravioli-Füllungen und die vollmundigen Rotweine. Im mikroklimatisch sehr begünstigen, weniger bekannten östlichsten Abschnitt der Côte d´Azur wachsen die Zitronen mit ihrem süßlichen Fruchtfleisch und den dicken, essbaren Schalen. Im Februar wird der Zitrone ein großes, karnevaleskes Fest gewidmet. Viele Mentonnais haben ihr eigenes Zitronenbäumchen im Garten - für den Hausgebrauch und die Zitronentarte am Sonntag.
Früher Hauptexportgut, bauen heute noch gerade einmal zehn Zitronenbauern die Original-Südfrucht noch traditionell und streng zertifiziert in Menton an. In den Wintermonaten - ihrer Hauptreifezeit - leuchten sie in allen Gelbtönen an den Hängen vor dem azurblauen Meerpanorama. Neben 120 anderen Agrumen-Arten wie Yuzu, Kaviarzitrone, Clementine Fine de Corse oder Kumquat wachsen sie neben Avocados und Bananen das ganze Jahr auch im Maison de Citron - ein "Agrumes (Zitrusfrucht) -Dschungel mit an die 700 Bäumen. Hier hegen und pflegen Laurent und Sohn Adrien Gannac ihre Citrons du Menton IGP - Menton-Zitronen in Bioqualität. Die edle und limitierte "Zitrone von Menton" (Europäisches Label "Geschützte geografische Angabe" (ggA)) in AB Bio Qualität hat einen deutlich süßeren Geschmack, intensivere Aromen und eine moderate Säure und man isst sogar auch die Schale. Wie früher werden sie noch von Hand gepflückt, aber nach kreativen Eigenrezepturen zu einer ganzen Produktpalette wie Limoncello, Chutneys, Mandarinen Liqueur, Confitures oder Gelées affinieren. Diese paradiesische vier Hektar große Plantage ist Teil der Route du Citron.
An die 20 Kunsthandwerker und Produzenten - von der Altstadt bis hoch zu den urigen Bergdörfern, die das Meer und die Berge verbinden. Oberhalb grüner Hügellandschaften gelegen, bieten sie Kulissen, in denen die Zeit stillzustehen scheint. Citrolive-Olivenöl direkt aus der Mühle findet man seit Jahrzehnten bei dem Ehepaar Marie Christine et Albert Manguine in der "Au Moulin de Gorbio" im gleichnamigen Bergdorf. Im Herzen des Dorfs thront die berühmte Ulme, ein majestätischer Baum, der der ganze Stolz der Bewohner ist und als einer der "100 bemerkenswertesten Bäume Frankreichs" ausgezeichnet wurde. Der gesamte Ort ist mit Riesensukkulenten und mediterranen Blumen geschmückt, die den geschichtsträchtigen alten Steinhäusern und Gassen eine florale Note verleihen.
In Mentons Bergdörfer speist man erhaben
Am alten Stein-Brunnen im mittelalterlichen Gorbi befindet sich das winzige "Musée D´A Font". Die Initiatorin und hütende Seele dieses im Souterrain - einem winzigen verwinkelten Keller am Platz mit dem historischen Brunnen" situierten Museums ist Madame Quaranta. Hier werden seit Jahrzehnte Artefakte und Werkzeuge der Landbevölkerung aufbewahrt. Schwarzweiß Fotos der Dorfbewohner dokumentieren das Raritäten- Kabinett und sind Zeugnisse von allerlei dörflichen und mittlerweile bereits ausgestorbenen Zünften. Die quirlige italienische Senhora Quaranta kennt alle Dorfanekdoten und (Spitz-)Namen. Unter den Fotos finden sich auch die der ersten Betreiber des Bilderbuchrestaurants "Le Beausejour" – die erste in einer 1880 erbauten Bastide untergebrachte Dorfgaststätte in der Bergregion. Der Urenkel einer seit 1924 dort agierenden Gastronomenfamilie ist Gastgeber und Chef Yvan Bracco, der das Restaurant Beausejour in fünfter Generation übernommen hat. Sohn Quentin Bracco ist seit kurzem der neue Chefkoch und kredenzt köstliche ur-französische, fein interpretierte Bergküche. Manchmal setzt sich Yvan ans Klavier und singt mit sonorer Stimme ein paar wehmütige Chansons du Passé. Die Nachbarn kennen ihn seit er Knirps war und bringen hin und wieder ihre Gaben aus den Gärten vorbei: wilde Granatäpfel, Aprikosen, riesige Zucchini und allerlei essbare Gartenblüten verzieren Tellergemälde wie den Spezialitäten-Vorspeisenteller "Farandole du Gorbi" mit Barbajuan (mit Mangold gefüllte Teigtaschen) mit Tomaten-Basilikum Coulis, Beignets von Zucchini-Blüten und Melonen und allerlei mundgerechte Légumes Farcies (mit Semmelbröseln und Kräuter-Pasten überbackenes Gemüse) oder die sämige Fisch-Knoblauchcremesuppe. Hauptgerichte sind saisonaffin das Beef Angus-Stew, geschmorter Hase an Majoran oder ein gegrillter Wolfsbarsch an Fenchel und Kumin. Das Herz der Karte bleibt seit Jahren das gleiche. Hier weiß man was man isst. Viele Stammgäste kommen seit Generationen. Eine Website hat das Beausejour nicht und im Winter ist es geschlossen.